Unser Bundesbruder Ferdl Müller feierte am 1. September 2015 im Kreise seiner Familie, von Freunden und Weggefährten, Bundes- und Cartellbrüdern seinen 90. Geburtstag. Er gehört damit nicht nur zu den ältesten lebenden Bundesbrüdern, er ist auch zweifellos ein Urgestein unserer Gothia, verbindet sich mit seiner Person doch die Wiedergründungsphase unserer Verbindung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ferdl Müller hat noch viele, inzwischen leider verstorbene bedeutende Gothen, auch solche aus der Gründergeneration des Jahres 1895, persönlich gekannt und wenn man ihn danach fragt, vermag er mit leuchtenden Augen davon zu erzählen.
Ferdinand („Ferdl“) Müller wurde 1925 in Würzburg geboren, er besuchte dort die Volksschule und die Oberrealschule, das heutige Röntgen-Gymnasium. An dieser Schule war auch unser Bbr. Lothar Schugmann als Lehrer für die Englisch und Französisch tätig, der bei den Schü-lern des Spitznamen „Last Week“ hatte wegen seines beliebten Ausspruchs „Last week we had a school expedition“. 1943 machte Ferdl Müller das sogenannte Kriegsabitur, war anschließend für vier Monate beim Reichsarbeitsdienst verpflichtet und wurde schließlich im Oktober 1943 zur Kriegsmarine eingezogen. Allerdings wurde er im März 1945 zum Heer abkommandiert und an die damalige Ostfront ins Sudetenland versetzt, wo er bis zum 8. Mai 1945 Kriegsdienst leistete. Glücklicherweise entging Ferdl der Gefangenschaft, er schlug sich zu Fuß in das total zerstörte Würzburg durch. Im Wintersemester 1945/46 konnte er als Teil des ersten Studentenjahrgangs nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Studium der Neuphilologie (Französisch und Englisch für das Lehramt an Gymnasien) beginnen.
Am 13. September 1947 wurde Ferdl Müller bei unserer im Semester zuvor wiedergegründeten Gothia rezipiert und bereits am 21. September 1947 geburscht. Es gab damals ja nur eine kleine Aktivitas, so dass etwa auch die Leibburschen von Alten Herrn gestellt wurden. Ferdls Leibbursch wurde AH Dr. Max Gofferje (1899-1975). Angesichts dieser Situation mussten die wenigen vorhandenen Aktiven umso mehr anpacken. Deshalb bekleidete Ferdl Müller im Wintersemester 1947/48 auch bereits die Charge des Conseniors unter dem Senior Hans Dünninger, Fuxmajor war der allzu früh an einer Blinddarmentzündung verstorbene Hermann Meissner. Im Sommersemester 1948 übernahm Ferdl Müller dann selbst das Amt des Fuxmajors; als Senior amtierte nochmals Hans Dünninger. Zahlreiche Bundesbrüder aus dieser wichtigen Wiedergründungszeit sind noch unter uns, so die Zwillingsbrüder Dr. Josef und Dr. Thomas Hildenbrand, Arnulf Hildenbrand, Richard Knoblach, Dr. Richard Baumann und Dr. Günter Warmke. Zwei junge BbrBbr. wählten Ferdl Müller zu ihrem Leibburschen, Peter Bodesohn (1925-1961, rec. 22.9.1947), später Studienrat in Haßfurt, der allzu jung an den Folgen einer Kriegsversehrung starb und Dr. Werner Ikenberg (1927-1996, rec. 19.1.1949), ebenfalls Gymnasiallehrer, zuletzt Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in Unterfranken. Die späten 1940er Jahre waren keine leichte Zeit für unsere Gothia. Stadt und Universität waren zerstört, ein Verbindungshaus gab es nicht, die Wiederauferstehung des Verbindungswesens wurde von den Besatzungsmächten, Staat und Universität, teilweise auch von der Kirche kritisch beäugt. Es fehlte nicht an Versuchen, das Verbindungsleben zu behindern und zu unterdrücken. Ferdl Müller kann über diese Zeit sehr farbig und engagiert erzählen, insbesondere auch über die damaligen Studienbedingungen in zerstörten Gebäuden, den Nahrungsmangel und die allgemeine Not, von der wir Nachgeborene uns kaum eine Vorstellung machen können. Unser Bbr. Dr. Richard Baumann hat in der von ihm verfassten Festschrift zum 100. Stiftungsfest unserer Gothia sehr lesenswertes dazu geschrieben.
1949/50 bestand Ferdl Müller das Erste Staatsexamen für die Fächer Englisch und Französisch, 1951/52 das Zweite Staatsexamen an seiner alten Oberrealschule. Ab 1952 war er dann als Gymnasiallehrer in Mainburg (Niederbayern) und Hersbruck (Mittelfranken) tätig. Am 10. Mai 1974 wurde Ferdl Müller zum Oberstudiendirektor am Erasmus-Gymnasium in Amberg ernannt, ein Amt, das er bis zur Versetzung in den verdienten Ruhestand am 31. Juli 1988 innehatte. In all diesen Jahren war Ferdl Müller eine treue Lebensgefährtin im wahrsten Sinne des Wortes seine Ehefrau Hiltrud, die er 1951 in Klosterkirche der Mariannhiller (in unmittelbarer Nähe des heutigen Gothenhauses) geheiratet hatte und die ihm zwei Söhne gebar. In Punkto Urlaub war Ferdl Müller, wie man hört, ein überzeugter Wohnwagen-Camper, der, zusammen mit Bbr. Arnulf Hildenbrand und dessen Familie, als begeisterter Schwimmer viele schöne Stunden an den Küsten Italiens verbrachte. Außerdem reiste er gerne nach Hévíz in Ungarn und nach Šibenik in Kroatien.
Neben seinem Beruf und seiner Familie war und ist Ferdl Müller unsere Gothia und der CV ein wichtiger Lebensinhalt. Seit nunmehr 137 Semestern hat er bis auf zwei Ausnahmen jedes Stiftungsfest besucht. Jahrzehntelang war er auch regelmäßiger Teilnehmer unseres traditionellen Gräbergangs auf dem Würzburger Hauptfriedhof am 1. November. Viele Jahre lang hat er diesen in der Nachfolge von Paul Henselmans selbst geleitet und hierbei viele alte Geschichten an uns jüngere Gothen weitergegeben. Von 1979 bis 2009 war Ferdl Müller 30 Jahre lang Vorsitzender des CV-Zirkels Amberg. In dieser Zeit verfasste er eine 280-seitige Chronik des Zirkels und archiviert seither alle erhältlichen Beiträge von Cartellbrüdern aus dem CV-Zirkel Amberg. Eine Gothenchronik aus seiner Hand gibt es ebenfalls; sie befindet sich u.a. in unserem Verbindungsarchiv.
Wichtig war Ferdl Müller auch immer seine Marinekameradschaft, deren jährliche Treffen er jahrzehntelang regelmäßig besuchte. Es ist bezeichnend für sein Traditions- und Geschichtsbewusstsein, dass er aktuell an einer Chronik seiner Familie und damit auch an einer Autobio-graphie schreibt.
Lieber Ferdl, wir danken Dir für mehr als 68 Jahre Gothentreue und freuen uns auf noch viele Jahre mit Dir im Kreis unserer Gothenfamilie. In diesem Sinne:
Cum fide virtus et ad multos annos!
Geschrieben von: Bbr. Prof. Dr. Matthias Stickler v/o Decimus