Bbr. Sebastian Mathes, RCDS-Bundesvorsitzender, berichtet über den Hochschulbetrieb aus Studentensicht nach einem halben Jahr Corona-Krise:
Während der überwiegende Schaden der Krise erst in den nächsten Monaten und Jahren umfänglich sichtbar werden wird, waren für unsere deutschen Hochschulen und ihre Studenten die Folgen der Krise in den letzten Monaten bereits unmittelbar spürbar und werden auch die nächsten Semester stark beeinflussen.
Die Auswirkungen auf den Hochschulbetrieb waren derart schwerwiegend, dass sich einige Bundesländer entschieden haben, das vergangene Sommersemester nicht auf die Regelstudienzeit anzurechnen. Die Krise hat zudem verschiedene Probleme offen zu Tage gefördert. Während an einigen Universitäten im Ausland der Vorlesungsbetrieb zügig auf digitale Angebote umgestellt werden konnte, ist in Deutschland der Nachholbedarf zu den weltweiten Spitzenuniversitäten offenkundig geworden. Auch wenn bei einer Umfrage des Stifterverbandes unter Hochschulleitungen Anfang April 90 Prozent angaben, dass sie gut für die Digitalisierung gerüstet seien, stehen wir in Deutschland erst am Anfang dieser Entwicklung. Für die Zukunft müssen innovative hybride Lehrmodelle entwickelt werden, die auf der einen Seite den kaum zu überschätzenden Wert des Diskurses in den Hörsälen und Seminarräumen vor Ort ermöglichen und auf der anderen Seite die Möglichkeiten der digitalen Wissensvermittlung und die Wiederholung des bereits Gelernten sinnvoll zusammenführen. Zudem werden Hochschulen bei der Entwicklung des lebenslangen Lernens in Zukunft nur dann eine wichtige Rolle spielen, wenn sie über hochwertige digitale Angebote verfügen. Das reine Hochladen einer Datei oder das Übertragen einer Vorlesung können nur als erste Gehversuche in einer digitaleren Welt gesehen werden.
Neben den Auswirkungen auf den Studienalltag – von einem stark eingeschränkten Vorlesungsbetrieb bis hin zum Ausfall des lange geplanten Auslandssemesters – hatte die Krise auch spürbare Auswirkungen auf die privaten Verhältnisse der Studenten. Zum einen ist durch verschobene Prüfungen und Examen die Lebensplanung für das kommende Jahr vereinzelt maßgeblich verändert worden. Zum anderen ist der Wegfall vieler Minijobs, als Folge des Lockdowns, eine spürbare Auswirkung. Die darauffolgende Diskussion in der Öffentlichkeit war leider getrieben von ideologischen Bemühungen, dem schon lange in der Schublade linker Verbände befindlichen Vorschlag einer elternunabhängigen staatlichen Studienfinanzierung neuen Aufwind zugeben. Die geforderte Öffnung der Leistungen aus dem BAföG für alle Studenten wäre ein fataler Eingriff in die Systematik des deutschen Unterhaltssystems gewesen und hätte nachhaltig die Funktion des BAföG als Sozialleistung verändert, zudem wären massive Ungerechtigkeiten gegenüber Auszubildenden geschaffen worden. Die Bundesregierung hat sich stattdessen für die Zinsfreistellen des KfW-Studienkredits bis zum März 2021 sowie das Aufstocken der Notfhilfefonds der Studentenwerke um 100 Millionen Euro entschieden, um in Not geratenen Studenten unter die Arme zu greifen.
Mittlerweile hat sich die Lage im Bereich der Minijobs wieder etwas entspannt und gerade einmal rund 60.000 Anträge für die Nothilfe wurden bis Ende Juli durch die Studentenwerke bewilligt. Von den mitunter prognostizierten hunderttausenden oder gar millionen in Not geratenen Studenten ist dies weit entfernt. Die Debatte regt im Gegenteil eher zu einem ehrlichen Blick auf die finanzielle Situation der Studenten an. Nach der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes (DSW) verfügt ein Student in Deutschland monatlich durchschnittlich über 918 Euro. Natürlich darf diese Zahl nicht über die in den letzten Jahren gestiegenen finanziellen Belastungen hinwegtäuschen. Gerade die Ausgaben für Mieten in den Studentenstädten sind massiv in die Höhe gegangen. Die finanziellen Mittel des Einzelnen sollten, bei einer Eignung für ein Studium, selbstverständlich kein Hinderungsgrund sein. In unserem Hochschulsystem gibt es allerdings dringendere Probleme und bereits jetzt wird mit dem BAföG, dem KfW-Studienkredit und einer Reihe an Stipendien sowie familienpolitischen Förderungen wie zum Beispiel dem Kindergeld viel für die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem getan. Wie verzerrt die Debatten oft laufen, zeigt ein weiteres Beispiel. Oft war während der Coronakrise die Rede davon, dass Studenten das Studium abbrechen müssten, da sie sich ohne eine zusätzliche Förderung das Lernmaterial nicht mehr leisten könnten. Auch dazu lohnt der Blick in der Sozialerhebung des DSW – demnach gibt ein Student im Monat gerade einmal rund 20 Euro für Lernmittel aus. Viele Forderungen in der Coronakrise entspringen daher eher dem sozialistischen Wunschdenken nach einem sukzessiven Umbau unseres Staates, hin zu einem noch umfangreicheren Sozialstaat, als der Lösung wirklicher Probleme.
Die Krise hat zudem gezeigt, dass wir in Deutschland und Europa unabhängiger werden müssen. Wir brauchen zum Beispiel wettbewerbsfähige digitale europäische Plattformlösungen. Gegenwärtig sind wir hier maßgeblich auf US-amerikanische Unternehmen angewiesen. Selbst im Bundesvorstand der CDU tagen wir mangels europäischer Alternativen mit einem Programm des US-amerikanischen Unternehmens CISCO. Medikamente und medizinischen Bedarf lassen wir zunehmend in Asien herstellen und ohne das Wohlwollen von marktbeherrschenden Betriebssystemgiganten wie Apple und Google mit ihren App Stores wäre ein Vorhaben wie die Corona-App nicht umsetzbar gewesen. Hierbei werden die Hochschulen und Universitäten in Zukunft weiterhin eine bedeutende Rolle spielen. Nicht zuletzt, weil dort die innovativen Köpfe für unsere Forschungsinstitute und Unternehmen ausgebildet werden. Die Krise sollte daher auch Anreiz sein, in Zukunft wieder mehr in unser Wissenschaftssystem zu investieren, um bei zukünftigen Herausforderungen reagieren zu können.
Es gab allerdings auch einige positive Begleiterscheinungen der Krise. Die ernsthafteren Bemühungen im Bereich der Digitalisierung der Lehre sind begrüßenswert und auch das steigende Interesse der Öffentlichkeit an wissenschaftlicher Arbeit und den Ergebnissen aus der Forschung im Zusammenhang mit dem Virus kann nachhaltig im Bereich der Wissenschaftskommunikation wirken – und vielleicht hat es sogar bei dem einen oder anderen Schüler das Interesse geweckt, ein Studium in den Naturwissenschaften aufzunehmen. Nicht zuletzt das beherzte Engagement vieler Studenten, die sich bereiterklärt haben, freiwillig Verantwortung zu übernehmen und ältere Mitbürger beim Einkaufen zu unterstützen oder tatkräftig in Krankenhäusern mitanzupacken, wird in positiver Erinnerung bleiben.